Gewaltzyklen kollektiv bekämpfen – Interview AwA* in Unter Palmen

Gewaltzyklen kollektiv bekämpfen Konflikte, Diskriminierung und Grenzüberschreitungen gibt es in jeder Gemeinschaft. Wichtig ist, wie wir mit ihnen umgehen. Das Wiener Awareness-Kollektiv AwA* sagt: Es braucht kollektive Lösungen. Interview in der UnterPalmen – von Caroline Schmüser

*Dieses Interview ist Teil der aktuellen "UNTER PALMEN"-Ausgabe mit dem Titelthema "Kollektiv l(i)eben". UNTER PALMEN ist eine Zeitung aus Wien mit dem Ziel, in Anknüpfung an linke Theorien kritische Bildungsarbeit zu leisten. *

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Gewaltzyklen kollektiv bekämpfen
Konflikte, Diskriminierung und Grenzüberschreitungen gibt es in jeder Gemeinschaft. Wichtig ist, wie wir mit ihnen umgehen. Das Wiener Awareness-Kollektiv AwA* sagt: Es braucht kollektive Lösungen.
– von Caroline Schmüser

Caro: AwA* bezeichnet sich als „Kollektiv für Awareness-Arbeit“. Was versteht ihr darunter?

_willi: Awareness-Arbeit bedeutet, organisiert gegen patriarchale, rassistische und kapitalistische Strukturen, die sich in Diskriminierung und Gewalt niederschlagen, zu agieren. Das heißt, dass wir für Betroffene Partei ergreifen und ihnen die Definitionsmacht darüber erteilen, wann das Verhalten einer anderen Person oder Gruppe eine Grenze überschreitet. Kam es zu einer Grenzüberschreitung, ist Awareness-Arbeit ein organisierter Ansatz, im Kollektiv zu handeln.

Alina: Für Betroffene ist es oft eine Hürde, sich an Polizei oder Rettung zu wenden. Das ist an den Staat gekoppelt und kann negative Konsequenzen haben. Bei unserem Sommer-Projekt »Awareness im öffentlichen Raum« sind Teams von vier Personen nachts mit einem Lastenfahrrad in der Stadt unterwegs, um in Konfliktsituationen zu deeskalieren. Da haben wir gemerkt, dass junge Leute gerne auf uns zugekommen sind, weil wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und eine niedrigschwellige Andockstelle bieten. 

Caro: Ist es auch eine Idee hinter Awareness zu sagen: Wir lösen Konflikte, ohne Polizei und Staat in unsere Räume einzuladen?

_willi: Es ist einfach ein anderer Ansatz von Gesellschaft. Wir wollen nicht Leute bestrafen, sondern Gewaltzyklen durchbrechen, hin zu einer solidarischen und kollektiven Gesellschaft. Denken wir an linke, aktivistische Kontexte: Es ist gut, sich gegen Abschiebungen oder Femizide und all diese großen Themen zu organisieren. Wir müssen aber auch Strukturen schaffen, die das, was wir nach außen fordern, nach innen reproduzieren. Wenn wir eine achtsame Gesellschaft wollen, sind das genauso wir und unser Umfeld. Die Stadtteile, in denen wir leben, wie wir Beziehungen führen, wie wir uns organisieren, wie wir in unseren Freundeskreisen miteinander umgehen.

 Alina: Uns geht es um etwas Längerfristiges. Wir wollen, dass eine gewaltvolle oder diskriminierende Situation nicht noch einmal passiert oder sogar schon vorher abgefangen wird.

 _willi: Dafür arbeiten wir mit Modellen, die an kollektive Verantwortungsübernahme und transformative Gerechtigkeit angelehnt sind. Das sind Konzepte, die aus Black Communities, aus autonomen Zusammenhängen, aus queeren, feministischen Kontexten kommen. Das Wissen ist also bereits Teil von Gemeinschaften. Wir sagen übrigens Betroffene, nicht Opfer. Das zeigt, dass es in Konfliktsituationen einen Handlungsspielraum gibt.

Alina: Und dass es Möglichkeiten zur Veränderung gibt. Im Kontext von Awareness-Arbeit gehen wir nicht davon aus, dass Gewalt oder diskriminierendes Verhalten ultimative Zustände sind. Solche Zustände können sich ändern. Auch eine Person kann sich ändern. Es ist aber wichtig, dass eine verursachende Person in ihrem Lernprozess von einer Gruppe begleitet wird.

Caro: Was für Projekte hat AwA* bzw. in welchen Bereichen setzt ihr Awareness um?

Alina: Wir leisten viel Awareness-Arbeit bei Veranstaltungen, tendenziell im Party-Kontext oder bei Festivals. Wir helfen auch bei Konzeptentwicklungen für Awareness, die dann für einen spezifischen Ort, für Kollektive oder Verbände funktionieren. Außerdem halten wir Basic-Workshops ab, in denen wir erklären, was Awareness ist und auf welchen Grundsätzen unsere Arbeit basiert.

 _willi: Wir wollen, dass mehr Leute verstehen, dass es nicht nur präventive Arbeit auf Veranstaltungen benötigt, sondern Anlaufstellen und längerfristige Konzepte. Es geht eben nicht nur um die Frage, wie ein Team auf einer Party mit Grenzüberschreitungen umgeht. Ganze Verbände, Vereine oder Communities müssen sich damit beschäftigen.

Caro: Angenommen im Kulturzentrum 4lthangrund, in dem AwA* und andere aktivistische Gruppen in Wien vernetzt sind, findet eine Party statt. Und da kommt es zu einem Übergriff. Wie geht AwA* vor?

_willi: Sagen wir, es gab ungewollten Körperkontakt: Das passiert in Clubs, das kann auch hier im Kulturzentrum passieren. Als Erstes würden wir die betroffene Person fragen, was ihre Forderungen und Wünsche sind.

 Alina: Wir würden außerdem die Person, die den Übergriff verursacht hat, zur Seite nehmen und darauf hinweisen, warum ihr Verhalten nicht okay war. Damit sie daraus lernen kann.

 _willi: Wir bieten der verursachenden Person zudem an, dass sie sich später bei uns melden kann. Wir verweisen außerdem auf Ressourcen, zum Beispiel auf die Beratungsstelle im Kulturzentrum, oder darauf, dass die Person auch im Freundeskreis über den Vorfall sprechen sollte. Wir reden auch mit den Freund_innen der Person und sagen: Hey, dein Freund steht jetzt vor der Tür. Er muss für den Abend nach Hause gehen. Könnt ihr schauen, dass er nicht allein nach Hause geht?

Caro: Wie kann Awareness-Arbeit Gewalt und Diskriminierung in Gemeinschaften präventiv begegnen?

_willi: Bin ich auf einer Party, macht es einen riesigen Unterschied, wenn da ein Zettel auf dem Klo mit der Info hängt, dass ich mich an die Veranstalter_innen wenden kann, sobald ich mich unwohl fühle. Oder dass ich, wenn ich mit einem Kollektiv Teil eines Kulturzentrums bin, weiß, wenn es einen Konflikt gibt, dann muss ich den nicht verstecken, sondern kann mich an eine Anlaufstelle wenden. Es ist wichtig, dass in einem Kulturzentrum ein gemeinsames Regelwerk existiert, das zugänglich und nachvollziehbar ist. Oder dass bei einer Party bereits beim Einlass jemand sagt: Hier sind Leute für Awareness-Arbeit zuständig. Also einerseits geht es darum, Ansprüche nach außen zu kommunizieren. Andererseits sollten aber auch ganz konkrete Anlaufstellen für Konflikte und Grenzüberschreitungen geschaffen werden. Leute, die sich übergriffig verhalten, wissen dann: Das ist ein Ort, da muss ich mich zusammenreißen. Und Leute, die betroffen sind, wissen: Wenn etwas passiert, bekomme ich Hilfe.

Caro: Ihr habt das Konzept Kollektive Verantwortungsübernahme genannt. Welchen Stellenwert nimmt denn die Gemeinschaft bei der Lösung von Konflikten ein?

 _willi: Eine total relevante! Wir sind soziale Wesen, wir haben ein Umfeld. Und es macht einen Unterschied, ob ein Umfeld sich bei Gewaltsituationen parteilich verhält, oder den_die Täter_in schützt. Für mich geht es da wirklich um die Praxis. Betroffene müssen unterstützt werden, es braucht Auseinandersetzungen. Ich kann mit einer Person, die sich scheiße verhalten hat, weiterhin befreundet sein. Ich muss aber auch benennen können, dass das Verhalten nicht okay war. Das sind konkrete Umgänge, wenn es um ein achtsames Miteinander geht.

Alina: Was ich auch wichtig finde: Wenn es eine schwierige Situation in einem Kollektiv oder in einer Gruppe gibt und eine Person gerade sehr überlastet ist, sollte sie sagen können: Ich kann mich damit gerade nicht auseinandersetzen, weil ich überfordert bin. Sie sollte das aber zumindest klar kommunizieren. Für kollektive Arbeit ist es entscheidend zu lernen, unsere Bedürfnisse zu kommunizieren.

Caro: Hat Awareness-Arbeit eurer Meinung nach auch Grenzen? Wo liegen diese?

Alina: Zum einen gibt es persönliche Grenzen. Das musste ich dieses Jahr selbst lernen. Und die können sich durch verschiedene Ereignisse verändern. Gerate ich in einen Konflikt, der für mich extrem belastend ist, dann kann ich keine Hilfe sein. Und das ist auch okay.

 _willi: Grenzen gibt es auch per Definition. Denken wir an ein großes Festival. Da ist Awareness nicht Erste Hilfe, auch nicht Security. Awareness-Arbeit ist in diesem konkreten Fall dafür da, im Verhandeln von Konflikten Unterstützung zu geben und Betroffenen von Gewalt und Diskriminierung zu helfen. Awareness-Teams sind dort in einer Ersthelfer_innen-Rolle. Wir sind nicht die Unterstützungsgruppe, die die betroffene und verursachende Person zwei Jahre lang in einem Prozess begleitet. Aber wir sensibilisieren für diesen weiteren Weg.

Alina: Ich stelle mir das ein bisschen wie Zuggleise vor. Awareness-Arbeit ist eine Weichenstellung, eine Idee, ein Angebot.

_willi: Grenzen gibt es auch in den Konzepten, zum Beispiel Definitionsmacht und Parteilichkeit. Das sind für uns Haltungen, aber trotzdem muss man diese aushandeln. Es braucht auch Grenzen im Verhandeln von Konflikten. Nicht jeder Konflikt ist ein Konflikt der Community. Manche Konflikte hat man auch mit sich selbst oder mit einer anderen Person. Wir sprechen uns aus Awareness-Perspektive auch nicht dagegen aus, wenn Leute sich aus Selbstschutz gewaltsam wehren. Das passt zwar nicht in ein Awareness-Konzept. Wir können aber trotzdem solidarisch damit sein.

Alina: Im öffentlichen Raum gab es Situationen, da wurden Menschen so körperlich gewaltvoll, dass wir als Awareness-Personen einfach keine Verteidigungsmöglichkeiten mehr hatten. In solchen Fällen können wir nur ein bisschen Zeit verstreichen lassen oder eine andere Instanz muss hinzukommen. Erst wenn sich die Situation beruhigt hat, können wir wieder einsteigen und versuchen herauszufinden, wo das Problem liegt.

_willi: Wir haben eine Erste-Hilfe-Ausbildung, aber wie gesagt: Wir können kein Krankenhaus oder ausgebildete Mediziner_innen ersetzen. Das ist auch nicht der Anspruch. Wenn wir aber von einer utopischen, solidarischen Stadt ausgehen, dann sind da Menschen, die diese Fähigkeiten haben. Die coolen, medizinischen Support leisten können. Oder Leute, die mit gewaltvollen Konflikten umgehen können und soziale Vermittlungsarbeit machen.

Caro: Wie kann Awareness-Arbeit eurer Meinung nach für mehr Kollektivität sorgen?

Alina: Indem sie für weniger gewaltvolle Situationen sorgt, ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl schafft und Entlastung bringt.

_willi: Gewalt passiert eben im Zwischenmenschlichen. Auch in linken Strukturen werden Leute gemobbt oder es passiert Täter_innenschutz. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Und dafür braucht es uns alle.


>> Anhang



Weiterlestipps
    • Antisexistische Awareness – Das Handbuch gibt praktische Tipps zu Awareness-Arbeit und richtet sich an Betroffene und Unterstützer_innen.
    • Broschüre: Awareness – SupportFX, AwA* und andere Gruppen der Basis-Vernetzung Awareness Institut definieren Standards von Awareness-Arbeit. Online verfügbar.
    • Grenzen setzen! – Im Arbeitsbuch von LesMigraS lernst du anhand von Übungen, eigene Grenzen zu setzen und die Anderer zu wahren. Online verfügbar.

Zitate
    • »Awareness-Arbeit ist bei Grenzüberschreitungen ein organisierter Ansatz, im Kollektiv zu handeln.«
    • »Wir müssen Strukturen schaffen, die das, was wir nach außen fordern, nach innen reproduzieren.«
    • »Gewalt oder diskriminierendes Verhalten sind keine ultimativen Zustände.«
    • »Es macht einen Unterschied, ob ein Umfeld sich bei Gewaltsituationen parteilich verhält, oder den_die Täter_in schützt.«
    • »Awareness-Arbeit ist eine Weichenstellung, eine Idee, ein Angebot.«

Foto Unterschrift:
_willi ist seit der Gründung 2021 Teil von AwA*. _willi ist (Gegen)Kulturarbeiter_in und setzt sich mit emanzipatorischen Anliegen und kollektiver Arbeit auseinander. Ein großer Teil von their Arbeit fließt in die Kollektive AwA* und 4lhangrund für Alle.
Alina ist seit Juni bei AwA* aktiv. Grund dafür: Sie lernt viel über Menschen und kann direkt ein angenehmes Miteinander stärken. Alina liebt den Rückhalt und die Diskussionsbereitschaft bei AwA*.

Gewaltzyklen kollektiv bekämpfen Konflikte, Diskriminierung und Grenzüberschreitungen gibt es in jeder Gemeinschaft. Wichtig ist, wie wir mit ihnen umgehen. Das Wiener Awareness-Kollektiv AwA* sagt: Es braucht kollektive Lösungen. Interview in der UnterPalmen – von Caroline Schmüser