Geschichte der Awareness-Bewegung

Ursprung des Ansatzes

Die Ursprünge betroffenenzentrierter Ansätze, welche ein Hauptmerkmal der Awareness-Arbeit darstellen, kommen aus der Zweiten Frauenbewegung. In den 1970er und 80er Jahren hatten Frauen und Queers kaum eigene Rechte. Die Vergewaltigung in der Ehe wurde beispielsweise erst ab 1997 strafbar und das Prinzip des “im Zweifel für den Angeklagten” gilt bis heute. Diese Umstände machten es Frauen, Trans-, Inter- und Non-binären Personen beinahe unmöglich, gewaltausübende Personen zur Rechenschaft zu ziehen.

Ab Anfang der 1970er trafen sich deshalb Frauen und Lesben, um Orte und Gruppen zu schaffen und politisch in Aktion zu treten. Sie analysierten, dass Gewalt von Männern keine Einzeltaten, sondern strukturell durch das Patriarchat bedingt ist. So räumten sie mit dem Mythos des “Fremden aus dem Busch” als Gewalttäter auf. Zu dieser Zeit griffen sie den Begriff der Parteilichkeit auf und entwickelten das Werkzeug der Definitionsmacht.
1976 eröffnete das erste autonome Frauenhaus in Westberlin. Hier boten Selbsthilfegruppen Zufluchtsorte und Beratungen an und intervenierten gegen sexualisierte Gewalt.

Festival-Awareness

2012 gründete Ann Wiesental zusammen mit Fabian die erste Festival Awareness Crew für die Fusion, die Awareness auf einem Festival anbot. Drei Jahre davor hatte die Gruppe AuS (Awareness und Support) einen ähnlichen Versuch gestartet, der daran scheiterte, dass die Fusion noch nicht offen genug dafür war. 2012 und 2013 führten zwei Konferenzen in Dresden von der Gruppe e*vibes zu einer Verbreitung des Awareness Ansatzes. Immer mehr queer-feministische Gruppen griffen den Ansatz auf. Zwischen 2010 und 2017 organisierte Ann Wiesental vier bundesweite Vernetzungstreffen von Awarenessgruppen.

Empowermentbewegung

Anfang der 80er Jahre kam Audre Lord nach Berlin, was den Beginn der Empowermentbewegung afro-deutscher Frauen markierte. Sie schufen eine wichtige Basis für das Wissen um die Existenz und die Funktionsweise von Herrschaftsstrukturen sowie die Möglichkeit des Widerstands dagegen. Es entstand ein Bewusstsein für Mehrfachdiskriminierung und die Verschränkung von Sexismus und Rassismus im Kapitalismus.

Die Analyseebene, dass das Patriarchat sich neben Klassismus und Rassismus auf eine Geschlechterbinarität stützt, ist vor allem in den letzten Jahren, insbesondere seit Erscheinen von Judith Butlers Buch „Gender trouble“ in den 1990ern, aufgekommen. Dadurch wird die Kategorie „Frau“ als Subjekt des Feminismus in Frage gestellt. Im Zentrum heutiger feministischer Kämpfe, zu denen sich auch die Awareness Bewegung zählt, stehen die Erfahrungen von Trans-, Non-binären und Inter-Personen sowie A-Gender, Frauen und Lesben. Die Awareness-Bewegung positioniert sich gegen einen Feminismus der trans-exklusiv ist und solidarisiert sich mit der Sexarbeiter*innen-Bewegung.

Aktuelle Strukturen

2017 gründeten sich viele Awareness-Gruppen, u.a. die Initiative Awareness Leipzig, rave*awarenress in Berlin, ATeam Freiburg. 2019 organisierte die Initiative Awareness Leipzig ein bundesweites Vernetzungstreffen „Free Spaces Safe Spaces“. Auf diesem Treffen wurde festgestellt und diskutiert, dass die Verbreiterung von Awareness leider auch dazu geführt hat, dass sich neue Akteure im Mainstream bilden, die wenig mit der Bewegung zu tun haben und wichtige Grundlagen des Awareness Ansatzes nicht umgesetzt werden.

Erste Strategien

Die erste Ausformulierung des betroffenenkontrollierten Ansatzes (BkA) folgte 2004 durch die Anlaufstellen gegen sexualisierte Gewalt Tauwetter und Wildwasser, und dem Weglaufhaus Villa Stöckle. BkA bedeutet die Unterstützung von Betroffenen für Betroffene, um reflektierte Erfahrungen in die Arbeit mit einzubringen und diese gegenüber professionellen Ansätzen aufzuwerten. Etwa zur gleichen Zeit schwappen auch die Konzepte der Community Accountability und der Transformative Justice aus den USA nach Deutschland über (s. “Strategien”).

2007 initiierte die Aktivistin Ann Wiesental die erste Awarenessgruppe, sie gründete mit Aktiven und Gruppen aus der queer-feministischen Bewegung anlässlich des Protestes gegen den G8-Gipfel die “Antisexist Contact- und Awarenessgroup”. Damit startete erstmals eine Bewegung unter der Bezeichnung “Awareness” in Deutschland. Nach 2007 schuf Ann Wiesental aus dem Begriff Awareness einen Ansatz. Dies tat sie in und mit der Bewegung und im Zusammenspiel mit vielen Aktiven und Gruppen. Einige dieser Gruppen sind re.ACTion Münster (Antisexismus_reloaded, Unrast Verlag), Antisexismusbündnis Berlin (AS.ISM Broschüren), Gruppe TAM und Kampagne Definitionsmacht.tk. Der Awareness-Ansatz wurde u.a. auf der von 2007 bis 2012 jährlich stattfindenden “Antisexistische Praxen Konferenz” entwickelt. Diese bundesweite Konferenz wurde von Ann Wiesental ins Leben gerufen und von queer-feministischen Personen und Gruppen organisiert und geprägt.

Wie geht es weiter

Die Initiative Awareness Leipzig, rave*awareness und Ann Wiesental überlegten an diesem Punkt weiter. Um auf diese Entwicklung zu reagieren, schlossen sie sich mit AwA* (aus Wien), A*Team Freiburg und Safe Night e.V. (Hamburg) aus der Bewegung zusammen und gründeten 2021 das Awareness Institut. Zum Awareness Institut stoßen immer mehr Kollektive/Initiativen aus der Bewegung dazu, die Bildungsarbeit machen. Mittlerweile greifen mehr und mehr Festivals, Organisationen und Veranstalter:innen Awareness auf, diese Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen.