Standards: Awareness-Bildungsarbeit

Wir beobachten, dass in den letzten Jahren der Bedarf an Workshops und Schulungen zu Awareness stark gestiegen ist. Wir beobachten auch, dass immer mehr Awareness-Aktive ihr Erfahrungswissen dafür zur Verfügung stellen. Damit Awareness als Ansatz und für die Praxis sinnvoll vermittelt werden kann, haben wir uns als Awareness Institut auf Mindeststandards in der Haltung für die Bildungsarbeit geeinigt und schlagen Inhalte vor, die aufgenommen werden können. Diese Mindeststandards entwickeln wir stetig weiter und diskutieren sie mit Awareness-Aktiven und Initiativen aus der Awareness-Bewegung.

Haltung

Awareness ist aus Erfahrungswissen von Betroffenen und Verbündeten entstanden. Diese waren und sind aktiv in verschiedenen sozialen und queer-feministischen Bewegungen. Heute sprechen wir auch von einer Awareness-Bewegung, in der viele Personen und Gruppen wertvolles Wissen erarbeitet haben, auf das wir uns in der Bildungsarbeit beziehen. Diese Personen und Gruppen, auf deren Wissen wir uns beziehen, und die Quellen, aus denen wir dieses entnehmen, sollten benannt werden. Wir verstehen Awareness als Community- und Bewegungsbezogenen Prozess und möchten gemeinsam als Bewegung unsere Haltung und unsere Inhalte reflektieren. Das daraus entstandene Wissen möchten wir in unserer Bildungsarbeit für andere verfügbar machen. Dazu gehört auch, die Grenzen des eigenen Wissens zu kennen und zu kommunizieren. Das heißt, dass die Anfragenden nach Möglichkeit an weitere Bildungs- und Hilfsangebote weiterverwiesen werden sollten, wenn mensch auf einem bestimmten Gebiet nicht sicher ist und sich dort nicht so gut auskennt. Insbesondere wenn Personen und Gruppen mehr Erfahrungswissen haben und als Marginalisierte einer bestimmten Community angehören, wie beispielsweise Menschen mit Behinderung, sollte an diese verwiesen werden. Wir weisen an dieser Stelle auch darauf hin, dass das meiste relevante Wissen zu Awareness nicht durch offizielle fachliche Abschlüsse erworben werden kann. Wir streben einen Austausch und eine Reflexion zur Qualität der Awareness-Arbeit an, insbesondere durch die Festlegung auf Standards und gemeinsame Vernetzung zu diesen. Wir wollen aber bewusst keine Professionalisierung, die Ausschlüsse schafft, welche die Herkunft von Wissen unsichtbar macht und Fachlichkeit im Sinne von Fachabschlüssen höher bewertet als die Erarbeitung und das Erlangen von Wissen durch Erfahrungswissen und reflektierte Awareness-Arbeit im Team. Darum fördern wir gezielt Personen und Gruppen, die ebenfalls aus sozialen Bewegungen heraus entstanden sind und ihr erworbenes Wissen vermitteln wollen.

Wir, die Aktiven des Awareness-Instituts, verstehen Awareness nicht als Dienstleistung, die sich zu Veranstaltungen und co. dazu buchen lässt. Darum bieten wir Beratung und Schulungen an, um Personen und Gruppen auf ihrem Weg zum eigenen Awareness-Konzept und zu eigenen Awareness-Teams in Theorie und Praxis zu begleiten. Wir verzichten dabei bewusst auf das Ausstellen von Zertifikaten oder Badges, die sich Veranstalter*innen und co. nach außen auf die Stirn schreiben können. Unsere Beratung und Schulungen können nur Impulse und Einblicke in die Theorie und Praxis von Awareness geben und dazu anregen, die eigene Struktur und das Angebot stetig zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Wir können zwar langfristig bei diesem Prozess begleiten, aber Awareness und ein gutes Unterstützungsangebot sind nie “fertig”, sondern entwickeln sich immer weiter. Personen und Gruppen, die zu Awareness beraten und schulen, können immer nur Verantwortung dafür tragen, was sie in ihren Angeboten vermitteln. Wie die geschulten Personen und Gruppen danach mit den Inhalten umgehen, liegt in deren Verantwortung.

Awareness ist auch ein persönlicher Prozess. Die Diskurse um Diskriminierung und Gewalt entwickeln sich immer weiter. Auch die Awareness-Praxis auf Veranstaltungen und in Gruppen entwickelt sich immer weiter. Es ist also stetige Weiterbildung und Vertiefung zu neuen Themen und Diskursen nötig, um Awareness als Theorie und Praxis gut weiterzugeben und zu vermitteln. Außerdem sollte eine stetige Reflexion über die eigene Haltung und das eigene Verhalten stattfinden. Dazu gehört auch, offen für Kritik und Feedback zu sein, zum Beispiel zu den verwendeten Methoden und der Art und Weise, wie mensch das eigene Wissen vermittelt.

Bildungsarbeit im Bereich Awareness sollte gut bezahlt werden. Dahinter liegt viel Expertise, aktivistische Durchsetzungskraft und emotionale Arbeit, die angemessen honoriert werden sollte. Wir ermutigen alle Awareness-Aktiven, sich nicht unter Wert zu verkaufen. Idealerweise sollten Personen und Gruppen in der Awareness-Bildungsarbeit daneben auch günstige und kostenfreie Angebote schaffen, damit keine Ausschlüsse aufgrund unterschiedlicher Vermögenssituationen geschaffen werden. Kleine ehrenamtliche Vereine, die beispielsweise wichtige politische oder kulturelle Arbeit leisten, haben meistens viel weniger Geld zur Verfügung als große Unternehmen oder Institutionen. Daher empfehlen wir eine Preisstaffelung mit höheren Preisen für all diejenigen Gruppen und Personen, die es sich leisten können, mehr Geld zu zahlen. So können dann kostengünstige oder kostenlose Angebote finanziert werden. Wir sind uns aber auch bewusst, dass nicht alle Awareness-Aktiven das leisten können.

Inhalte

Im Folgenden schlagen wir Inhalte vor, die in der Awareness-Bildungsarbeit vorkommen können. Diese können mit verschiedenen Methoden übermittelt werden – welche Inhalte und Methoden mensch zusammenstellt, hängt von der Fragestellung, vom konkreten Auftrag und der Zielsetzung der Schulung oder der Beratung ab. Wer noch neu in der Bildungsarbeit ist, kann sich an bestehenden Methodensammlungen bedienen, um ein Bildungsangebot zusammenzustellen. Auch die Zielgruppe muss bei der Planung eines Bildungsangebots miteinbezogen werden: Geht es beispielsweise um eine Gruppe, die zusammen ein Festival veranstaltet und Anleitung braucht, wie Awareness in der Praxis funktionieren kann oder eher um einen Einstieg in die Grundsätze der Awareness-Arbeit für den Umgang miteinander in einer Wohngruppe. Die jeweiligen Bedürfnisse an ein Bildungsangebot sind sehr divers, also sollten unbedingt Vorgespräche stattfinden.

Sammlung an möglichen Inhalten:

  • Was ist Konsens? (Nein heißt Nein – nur Ja heißt Ja!)
  • Grundhaltung von Awareness:
    • Woher kommt Awareness?
    • Wie ist Awareness entstanden?
    • Wie kann mensch aware handeln und in Gruppen gemeinsam Verantwortung übernehmen?
    • Welche verwandten Konzepte gibt es? (Community Accountability, Transformative Justice)
    • Auseinandersetzung mit (eigenen) Privilegien und individuellen Grenzen
    • Bewusstsein darüber, dass es keine diskriminierungsfreien Räume gibt und dass alle Personen Gewalt ausüben oder Grenzen überschreiten können
  • Grundlagen der Awareness-Arbeit:
  • Unterstützungsarbeit für Betroffene:
    • Theorie: Wie ist die Unterstützungsarbeit entstanden und auf welche Ansätze können wir zurückgreifen? Z.B.: Betroffenenkontrollierter Ansatz, Psychische Erste Hilfe, Traumaarbeit, Psychiatriekritische Arbeit
    • Praxis: Wie können Betroffene konkret unterstützt werden? Was ist dafür räumlich, methodisch, materiell nötig? Welche Basics braucht es für die erste Awareness-Schicht?
  • Awareness-Konzept:
    • Wie kann eine eigene Struktur aufgebaut werden?
    • Wie sieht ein Konzept aus und was kann es beinhalten?
    • Welche Leitfäden für die Praxis braucht es und was muss da rein?
    • Eigenes Selbstverständnis formulieren: Mindeststandards und No Go’s festlegen
    • Wie gründe ich ein Awareness-Team?
    • Feedback-Struktur aufbauen
  • Awareness in der Praxis:
    • Wie kann Awareness in verschiedenen Kontexten aussehen?
    • Veranstaltungs-Awareness: Zusammenarbeit zwischen Awareness-Team und anderen Gewerken (Veranstaltungsleitung, Produktionsleitung, Sicherheitsdienst, Sanitäter*innen, Psycare, etc.)
  • Awareness-Team:
    • Bereichsleitung oder kollektiv organisiert?
    • Unbedingt auf Selbstfürsorge achten: Self Care, Vor- und Nachbereitung, Supervision, Intervision, Check-Ins
    • Modus für vertrauliche Falldokumentation erarbeiten
  • Prävention:
    • Wie kann präventiv gegen Grenzüberschreitungen vorgegangen werden? Welche Maßnahmen können dafür ergriffen werden?
  • Diskriminierung:
    • Mehrfachdiskriminierung / Intersektionalität
    • Analyse von Macht und Machtverhältnissen und potenziell diskriminierenden Faktoren (Differenzordnungen)
    • Mikroaggressionen
  • Barrierefreiheit:
    • Wie können für verschiedene diskriminierte Gruppen Zugänge geschaffen werden?
  • Grenzen von Awareness:
    • Welche Grenzen hat die Definitionsmacht? 
    • Eigenschutz vor Fremdschutz
    • Was kann Awareness leisten, was nicht?
    • Unter welchen Voraussetzungen bei Eigen- oder Fremdgefährdung ärztliche Hilfe hinzuziehen
    • Was kann ich als Unterstützungsperson leisten, was nicht?
    • Awareness ist kein therapeutisches Angebot, es kann nur temporäre Unterstützung angeboten werden, die mit der aktuellen Situation und den aktuellen Bedürfnissen arbeitet.
    • Awareness und Psycare kann grundsätzlich auch gemeinsam angeboten werden, es ist aber sinnvoll die Arbeit der beiden Bereiche zu trennen
    • Party-Awareness kann keine transformativen oder gruppendynamischen Prozesse und Aushandlungen zwischen Personen oder in Gruppen auffangen

In der Bildungsarbeit

Hinweise für die Bildungsarbeit:

  • Davor, Absprachen:
    • Vorwissen der Gruppe, Bildungshintergrund
    • Erwartung und Interesse der Gruppe
    • Sprache, Übersetzung klären
    • gibt es bestehende Konflikte
    • Diversität der Gruppe, mögliches Empowerment
    • ggf. Awareness-Team vor Ort
  • Währenddessen:
    • Rahmung: Awareness-Themen können berühren, Gefühle auslösen, verletzend sein
    • Rahmung: Wie wollen wir miteinander sprechen? Respektvoll, achtsam
    • Sprache und Begriffe der Gruppe anpassen
    • Zeit für Übersetzung geben, mehrere Sprachen
    • Erwartung und Interesse der Gruppe abfragen
    • Fehlerfreundlichkeit
    • (angemessen) Intervenieren bei Diskriminierung oder dominantem Redeverhalten
    • keine stillen Ausschlüsse, darauf achten, ob es allen ok geht
  • Danach:
    • Care: Gehen alle gut aus dem Workshop raus?
    • Feedbackmöglichkeiten geben
    • offen sein für Kritik
    • Anregungen aufnehmen und umsetzen


Wie genau Awareness-Bildungsarbeit gemacht werden kann, auf was zu achten ist und wie Inhalte vermittelt werden können, vermittelt das Awareness Institut in seinen Schulungen.

Awareness Institut, Stand 21.08.2024